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Kohlebart ärgerte sich. Es war Mittag und die Sonne schien. Kohlebart ärgerte sich immer, wenn die Sonne schien. Grummelnd humpelte er den Feldweg entlang. Vögel zwitscherten fröhliche Lieder. Kohlebart ärgerte sich noch mehr.
"Verdammte Oberfläche! Warum hab ich mich dazu überreden lassen? Und jetzt finde ich nicht mal meinen Berg wieder." Eigentlich war Kohlebart nicht wütend auf die Schönheit der Natur und die harmonische Helligkeit. Er ärgerte sich auch nicht allzu sehr über Blumen oder weiße Wölkchen am azurblauen Himmel - er nörgelte gerade nur soviel daran herum, wie es sich für einen waschechten Zwerg gehörte. Denn Kohlebart war ein echter Zwerg: stolze ein Meter fünfzehn groß, breite Schultern, Knollennase, viele Runzeln um die Augen, unzählige Narben, die er sich im Kampf zugezogen hatte, einen dicken Bierbauch und einen langen schwarzen Bart, der ihm seinen Namen gab. Außerdem furzte und rülpste er gern und viel, sagte zu einem Humpen Bier nicht nein und packte kräftig mit an, wenn es hieß einen Schatz aus dem Bergwerk zu heben. Sein doppelt gehörnter Kriegshelm war mit allerlei Diamanten, Smaragden und anderen Edelsteinen verziert. Auf den Rücken gespannt, schleppte der Zwerg eine gewaltige, zweischneidige Axt mit sich herum und als ob das nicht genug wäre hing eine weitere, wesentlich kleinere und damit handlichere Axt an seinem Gürtel. Kohlebart gehörte in seinem Bergwerk zu den tapfersten und stärksten Zwergen überhaupt. Deshalb hatte man ihn auch damit beauftragt, aus dem Stollen ans Tageslicht zu kriechen und sich auf die Suche nach anderen Zwergen zu begeben (schließlich sollte man wenigstens einmal alle hundertdreißig Jahre seine Verwandtschaft besuchen gehen). Leider hatte keiner seiner Zwergenkumpane und Kohlebart selbst übrigens auch nicht überprüft, wie es mit dem Orientierungssinn des Zwergs an der Oberfläche stand. Der war nämlich noch nie da gewesen. Und so marschierte Kohlebart bereits schon seit elf Tagen auf der Erdkruste herum, ohne auch nur einen Zwerg, geschweige denn sein Bergwerk gesehen zu haben. "Verdammte Lauferei", beklagte sich der kleine Mann. "Zwerge sind dafür nicht gemacht. Wir sind Krieger und Säufer, aber doch keine Wanderer." Kohlebart rülpste unzufrieden, dann setzte er seinen Weg fort. Der Tag wollte und wollte nicht zur Neige gehen. Nachts zu marschieren missfiel dem Zwerg ebenso, aber es war besser als der ganzen Zeit über dieser ekelhaft grellen Sonne ausgesetzt zu sein. "Und Bier habe ich auch schon seit Ewigkeiten keines mehr gesehen. Gibt's hier denn keine Zwerge in dieser Einöde?" Gegen Abend erreichte Kohlebart eine kleine Stadt. Der Zwerg staunte über die Häuser der Menschen und vor allem darüber, dass sie Fenster einbauten, um das widerliche Sonnenlicht einzulassen. "Naja", grummelte er, "wenigstens bauen sie ihre künstlichen Höhlen aus Stein. Sind ja doch nicht so primitiv, diese Langbeine." Kohlebart marschierte um eine Häuserecke - und blieb ruckartig stehen. Er wollte nicht glauben, was er da sah. "Jungs, was macht ihr da?!" Der Zwerg sprintete durch ein Gartentor auf eine gut gepflegte und liebevoll mit Kieseln umgrenzte Rasenfläche. Es dauerte eine Weile, bis er dort ankam, waren seine Beine doch so kurz. Ungläubig vor sich hinknurrend kam der alte Zwerg schließlich zum Stehen. Er holte erstmal tief Atem, bevor er sich das Spektakel anschaute. Zwerge. Rings um ihn sammelten sich dutzende von Zwergen auf der kleinen Rasenfläche. Sie trugen rot leuchtende, spitze Mützen, grüne Gärtnerschürzen und jeder von ihnen war ausgestattet mit Schaufel, Schubkarren oder Gießkanne. Kohlebart blieb die Spucke weg. Die Zwerge grinsten freundlich, dass ihre putzigen Keramikgesichter rosarot schimmerten. Von den Bärten blätterte schon teilweise die weiße Farbe ab, aber das hinderte die Kompanie fröhlicher Männlein nicht daran, sich hier in diesem Garten zu präsentieren. "Was hat man euch angetan?" Kohlebart humpelte von einer Zwergenfigur zur nächsten, sprach beruhigend auf sie ein und versuchte, sie zum Protest aufzufordern. Nichts. Die Gartenzwerge standen da und lachten. Schließlich begriff auch Kohlebart, dass dies nur Statuen waren und keiner seiner Verwandten, die durch einen Fluch auf dem Rasen festgehalten wurden. Die Stirn in tiefe, runzlige Falten gelegt, ließ sich Kohlebart auf dem gemähten Grün nieder. "Was ist geschehen, dass die Menschen sich nicht mehr an uns erinnern? Dass sie vergessen haben, wie wir aussehen und was wir tun? Sie verehren uns, aber zu welchem Preis? Schubkarren. Gießkannen. Rote Zipfelmützen!" Die letzten Worte spie der Zwerg in geradezu aufbrausender Wut aus. Wie konnten die Menschen es wagen, das Volk der Zwerge mit diesen kleinen, putzigen Figuren so bloßzustellen? Erhofften sie dadurch, die kampfesmutigen Untergrundbewohner in ihren Bann zu ziehen? "Ja", murmelte Kohlebart, der die Gefahr erkannt hatte. "Sie wollen uns zu Sklaven machen, die sich um ihre widerlichen Gärten mit den abscheulichen Blumen und den stinkenden Rosenbüschen kümmern. Und warum? Weil sie das Licht ebenso scheuen wie wir? Warum nicht die Zwerge die Drecksarbeit machen lassen? Die sind ja an Dreck gewöhnt! Pah!!!" Kohlebart wusste, er war wohl der einzige seines Volkes, der bisher von dem schrecklichen Plan der Menschenrasse wusste. Er war der einzige, der seine Heimat, das Bergwerk und die Zwerge der ganzen Welt retten konnte. Er musste die Menschen aufhalten. Nur er, Kohlebart, war dazu imstande. "Ich kann es nur schaffen, wenn ich all das vernichte, was uns zu willenlosen Sklaven der Oberweltler macht. Ich werde die Menschen mit der Wahrheit über uns vergiften, bis sie es nicht mehr ertragen können!" Kohlebart war entschlossen. Er sah sich suchend im Garten vor dem Menschenhaus um, bis er auf einen kleinen Fischteich aufmerksam wurde. Mit seiner Entdeckung kam ihm die passende Idee, es den Menschen heimzuzahlen. Kohlebart machte sich sogleich an die Arbeit. Er rupfte Gras aus und begann ordentlich im Dreck zu wühlen. Er grub und grub, bis er einen großen Berg Schmutz zusammengetragen hatte. Dann riss er sämtliche Blumen aus den Beeten und schüttete sie mitsamt der dreckigen Erde in den Teich. "Wie gut, dass ich nie ohne eine Flasche von Gerthas Brechmittel aus dem Haus gehe." Kohlebart trank die ganze Flasche. Was er anschließend in den Teich beförderte, war nichts im Gegensatz zu dem, was aus dem anderen Ende seines Körpers kam. Alles wanderte in das kleine Wasserloch. Die Fische waren bereits erstickt, denn das Wasser hatte sich in eine stinkende gülleartige Suppe verwandelt. Als erste grünliche Dampfschwaden von dem ehemaligen Teich aufstiegen, griff Kohlebart sich einen Schubkarren der Gartenzwerge und begann, den mehr als Übelkeit erregenden Matsch auf dem Rasen und den Sträuchern zu verteilen. Binnen kürzester Zeit war aus dem Garten eine schlammige, stinkende Müllkippe geworden. Schließlich kam Kohlebart zum Höhepunkt seines Racheplanes. Er stellte sich ins Zentrum des Gartens, nahm seine zweischneidige Axt, hob sie weit in die Höhe und begann wütend zu brüllen. Es klirrte und dutzende Keramikscherben flogen durch die Luft. Spitze, rote Zwergenmützen wurden zu feinen Splittern verarbeitet. Die pausbäckigen Gesichter zersprangen in Tausende winziger Einzelteile. Als bereits die Nacht eingebrochen und die Dunkelheit über alles und jeden hinweg gekrochen war, schaute Kohlebart vom Gartentor aus auf sein Werk. Erstmals, seit der Zwerg an die Oberfläche gekrochen war, fühlte er sich wirklich zufrieden. Nur ein Beutel Gold und ein schöner Humpen hätten ihn noch glücklicher gestimmt. Kohlebart hatte die Zwergenwelt gerettet. Er betrachtete die zerstörten Figuren, deren Scherben im Mondlicht leicht funkelten. Er sah den verwüsteten Garten als riesigen schwarzen Schatten und sog den Geruch seiner Teichsuppe ein, der sich bereits auf die Nachbargärten ausbreitete. Ja, er war sich ganz sicher. Noch einmal würden die Menschen es nicht wagen, die Würde eines Zwerges so sehr in den Schmutz zu ziehen. "Gießkannen! Auf so eine Idee kommen auch nur langbeinige Oberweltler." Kohlebart schulterte seine Axt. Ein Trinklied auf den runzligen Lippen wanderte er in die Nacht und in die nächste Straße hinein, wo er durch unzählige Vorgärten mit Dutzenden von grinsenden Gartenzwergen marschierte, die im blassen Mondlicht nicht zu erkennen waren. |