Gefühl

Eine schwarze Katze huschte ungesehen über die staubigen Straßen. Verstohlen verbarg sie sich in den Schatten, wich dem blassen Licht der Straßenlaternen aus. Viel zu grell für ihre goldenen Augen, die sich bereits an die nächtliche Dunkelheit gewöhnt hatten. Wenn, dann zog das Tier das Schimmern kleiner Lichter vor, etwa wie das der Kerzen, die die Gräber auf dem städtischen Friedhof säumten und sie in ein Meer aus roten flackernden Schattenspielen verwandelten.
Die Katze schlich an einer Reihe Zypressen vorbei und lugte vorsichtig durch das Eisentor. Das Kerzenlicht spiegelte sich in ihren Augen, während sie langsam eine Pfote vor die andere setzte. Ruhe und Stille herrschten hier auf dem Friedhof. Genau das, was das Tier jetzt brauchte. Hier ließ es sich gut jagen, krochen doch nachts die Mäuse aus ihren kleinen Löchern, wie die Geister aus ihren Gräbern.
Die Katze streckte sich und schlich dann mit anmutigem Gang über den Kiesweg. Links und rechts war der Pfad von Grabsteinen verschiedenster Größe und Form gesäumt. Bleiches Mondlicht fiel auf den glatten Stein der teuren Marmorgräber. In der Mitte des Friedhofs ragten noch mehr Zypressen auf. Dort gab es die fettesten Mäuse zu holen, das wusste die Katze. Hungrig tappte sie durch die Nacht. Plötzlich richteten sich ihre Ohren nach hinten. Ein ungewohntes Geräusch, ein Feind! Schnell sprang sie hinter den nächstgelegenen Grabstein, um sich zu verstecken. Ihre goldenen Augen blinzelten in die Dunkelheit. Die Katze war die einzige Zeugin des seltsamen Ereignisses, das sich am Grab des ehemaligen Krämers Zacharias Finnley abspielte.
Dem verstorbenen war ein wirklich schönes Grab gemacht worden. Ein großer Block aus glänzendem Basalt trug seinen Namen sowie eine liebevolle Inschrift des Bruders:

"Deine Liebe zu den Mitmenschen,
dein Fleiß, deine Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft
haben dich zu früh aus dieser Welt gerissen.
Hier ruht Z. Finnley,
geliebter Bruder und treuester Freund."


Darunter lag ein Strauß nicht mehr allzu frischer Blumen. Aus der Erde wuchs bereits ein wenig Unkraut, aber dennoch gehörte dieses Grab zu einem der schönsten auf dem Friedhof. Die Katze kannte es und bisher waren noch nie seltsame Geräusche aus dem Untergrund gekommen. Jetzt allerdings konnte man ein Kratzen und Ächzen vernehmen, so leise, als käme es von weit unter der Erde. Bewegte sich da eben nicht etwas? Die Katze beobachtete den kleinen Flecken Erde, der sich langsam zu einem Haufen türmte und dann zur Seite wegbrach. Normalerweise müsste in einer solchen Szene ein Wolf heulen oder Nebel über den Friedhof gleiten wie nachts eine Feder im Wind, aber nichts dergleichen geschah, als sich die blasse und fleckige Hand aus dem Erdloch reckte. Unter lautem Stöhnen barst das Grab auseinander. Erde verteilte sich auf die mit Blumen und Kränzen beschmückten Nachbargräber. Kerzen wurden mitsamt ihren roten Gläsern umgestoßen und erloschen. Die Katze fauchte, dann machte sie sich in schnellen Sprüngen davon.
Die bleiche Gestalt, auf die das gelbliche Mondlicht fiel, wankte steif aus dem Erdloch. Ein Paar leerer Augenhöhlen, aus denen unheimlich rotes Licht blinkte sah sich auf dem Friedhof um.
Zacharias Finnley ließ die knochigen Schultern hängen. Er schien eine endlos lange Zeit zu brauchen, bis seine Hände sich zu seinem Gesicht gehoben hatten. Lange starrte er die dürren Finger an, über die die bleiche Fleckenhaut wie eine straffe Plane gespannt war. Hier und da war sie bereits gerissen und legte den Blick auf fauliges Fleisch und Hautlappen frei, die wie die Lumpen an Zacharias' dürrem Leib herunterhingen. Der Mann starrte an sich herab. Er war nur noch ein Gerippe, dem man eine alte, welke Haut angezogen hatte. Ungeschickt öffnete er sein Hemd und betrachtete das kleine Einschussloch in seiner Brust, den Grund für seinen zu raschen Tod. Zacharias erinnerte sich nicht mehr, wer ihn umgebracht hatte. Irgendein Gauner, der seinen Laden ausrauben wollte. Zacharias war sein Laden egal gewesen, nur die alte Madame Angus sollte es nicht erwischen. Hatte es auch nicht, wie sich der tote Finnley ins Gedächtnis rief. Stattdessen hatte es ihn erwischt.
Zacharias sinnte nicht auf Rache, genau genommen regte sich gar nichts in ihm. Nur eine Art innere Leere war da. Er spürte eine Leere, es fehlte etwas in ihm, ein Etwas, das er mit seinem verwesten Verstand nicht beschreiben konnte.
Zacharias Finnley drehte sich langsam um und starrte auf den Basaltblock hinter sich. Er las seinen Namen.
"Hmmm", sagte er langsam und kratzte sich an seinem beinahe kahlen Schädel. "Ich bin tot." Er ringelte eine seiner wenigen Strähnen um einen bleichen Finger. Eine Weile schien er nur dazustehen und seinen Gedanken nachzuhängen. Dann murmelte er zu sich selbst: "Nein. Ich bin untot. Bin ein Zombie oder so. Hmmm." Finnley drehte sich wieder um. Jede Bewegung schien bei ihm endlos lang zu dauern. Zombies hatten es nicht eilig. Die Zeit begleitete sie nur, um ihnen den Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu zeigen. Ja, die Gegenwart. Was jetzt wohl gerade in seinem kleinen Krämerladen vor sich ging? War der Ladendieb bestraft worden? Und wer konnte Finnley erklären, was diese Leere in ihm zu bedeuten hatte?
"Hmm, da muss einmal etwas gewesen sein, aber ich habe das Wort dafür vergessen. Muss jemanden finden, der mir hilft. Habe selbst oft geholfen, da wird es bestimmt irgendwo ein Entgegenkommen geben."
Finnley wandte sich dem Eisentor zu und schlurfte gemächlich hindurch. Sein eines Bein zog er schleifend hinter sich her. "Muss lahm geworden sein, nachdem ich gestorben bin." Finnley verließ den Friedhof. Er schlurfte seinen halbverwesten Körper eine Zeit lang die Straßen entlang. Irgendwann blieb er stehen und schaute sich um. "Hmm. Es ist Nacht", stellte er nach einigen Minuten fest. "Ist keiner mehr wach, außer mir. Muss aber einen Helfer finden, jawohl." Finnley dachte nach. Er dachte lange nach. Wen konnte er zu so später Stunde aufsuchen und nach der Leere in ihm fragen? Sein trüber Blick flog über das Licht der Straßenlaterne. "Hmm. Ich sah ein Licht und dann war Schwärze. Und Kälte. Ich lag in einem Fach, sie untersuchten mich und dann legten sie mich wie ein Gemüse in dieses Kühlfach zurück. Hmm. Die Leichenhalle." Finnleys letzte Erinnerungen hatten sich dort abgespielt. Er musste schon tot gewesen sein und doch fiel ihm im Moment kein anderer Ort als die städtische Leichenhalle ein. Dort wollte er hingehen. Sein Bein hinter sich herschleifend machte der Zombie sich auf den Weg.

Alfred Unterhof hatte Nachtschicht. Ihn störte das nicht, auch wenn er ein Mann von eher kleinem Format war. Er war nicht so winzig, dass er in die Handtasche einer alten Dame gepasst hätte, aber trotzdem klein genug, dass Helen ihn übersah. Die wunderbare, einzigartige Helen Binks, eine Göttin, die auf Erden wandelte - zumindest in Alfreds Vorstellung. Das erste Mal hatte er sie gesehen, als sie mit einem Polizisten in die Leichenhalle gekommen war, um einen Toten zu identifizieren. Wie sich herausstellte kannte sie den leblosen Mann, es war ihr Verlobter. Die Obduktion ergab, dass er an einer Überdosis verschiedener Drogen gestorben war. Arme Helen. Alfred war derjenige gewesen, der sie nach Hause bringen sollte. Unterwegs hatte er der Unglücklichen einen Kaffee und jede Menge Taschentücher spendiert. Sie hatte von sich und ihrem verstorbenen Herzblatt erzählt und so hatte Alfred seine Traumfrau kennen gelernt.
Zweimal waren sie schick Essen gegangen und beide Male hatte Alfred sich nicht getraut, zu fragen, ob sie ihn mag. Helen mochte ihn bestimmt nicht wirklich gut leiden, sondern hatte einfach nur Mitleid mit ihm wie alle anderen. Alfred Unterhof wusste, dass er kleinwüchsig war, aber er kam gut zurecht. Ja, außerdem war er ein sehr zuverlässiger Wächter. Er achtete darauf, dass alle Kühlfächer in der Leichenhalle verschlossen und das Licht gelöscht wurde. Jedes Mal, wenn er Nachtschicht hatte, drehte er alle halbe Stunde seine Runde durch die dunklen Korridore und nicht einmal eine schlaflose Fliege konnte dem Schein seiner Taschenlampe entkommen.
Auch diese Nacht machte der kleine Alfred Unterhof seinen Streifzug durch das Gebäude. Nur diese Nacht war es anders. Er hatte nicht erwartet, so spät noch jemanden in die Leichenhalle kommen zu sehen. Eine hagere Gestalt schlurfte die Vordertreppe hinauf und durch das Eingangsportal, das Alfred in lauen Sommernächten wie diesen gern offen ließ, bis seine Schicht zu Ende war.
Der Fremde war nur ein Schatten, kaum vernehmbar, außer durch die Geräusche, die sein hinterher schleifendes Bein verursachte. Alfred leuchtete mit der Taschenlampe in seine Richtung. Als er die Gestalt besser erkennen konnte, ließ er seinen Lichtspender zu Boden fallen. Das kränkliche Wesen, das er eben in dem Fremden gesehen hatte, kam näher. Aus den Augenhöhlen starrten ihn zwei rote kleine Lichtpunkte an, die Kleidung bestand aus zerfledderten Lumpen, die im leichten Wind der Nacht um das Gerippe flatterten, welches der Fremde darstellte. Er schlurfte immer näher. Alfred bückte sich nach der Taschenlampe, aber er fand sie nicht. Gleich hatte ihn dieses Monster erreicht. Alfred holte seinen Knüppel aus dem Gürtel, bereit sich zu wehren. Das unheimliche Wesen hob einen der bleich schimmernden Arme und öffnete die faltige Mundhöhle.
"Hmm. Hallo."
Alfred Unterhof riss die Augen auf. Für einen Moment seines kleinen Lebens stand er wie zur Salzsäule erstarrt da. Endlich ließ der Schock nach und Alfreds Blick wanderte zu der elfenbeinfarbenen Hand, die ihm sein Gegenüber entgegenstreckte.
"Ich bin ... war Zacharias Finnley", sagte das Wesen und seine Stimme klang, als hätte er sie Jahre lang nicht mehr benutzt.
Alfred wusste nicht, wie er reagieren sollte. Zögernd griff er nach der vermoderten Hand und schüttelte sie. Aus irgendeinem Grund befürchtete er, sie könne abfallen. "Mein Na-Name ist Alfred ... Unterhof, ja, Alfred Unterhof. Ich bin hier der Nachtwächter heute."
"Hmm", erwiderte der Fremde. Dann schien er einen Moment zu überlegen. Alfreds Hand ließ er nicht los. "Mir hat mal der Krämerladen in der Trautergasse gehört."
"Wer ... äh, was bist du ... Sie?"
"Ein Zombie, denke ich. Äh, können Zombies denn noch denken? Irgendwie fehlt mir etwas. Hier, in meinem Inneren." Zacharias Finnley zeigte auf seine Brust, als könnte diese Aufschluss für sein unerwartetes Auftauchen geben.
"Vielleicht sollten Sie einen Arzt aufsuchen, wenn Ihnen etwas fehlt", schlug Alfred vor, ohne selbst großartig von seiner Idee überzeugt zu sein. Auch der Zombie schien mit dem Vorschlag nicht einverstanden. Langsam schüttelte er den Kopf. "Ich suche das Wort. Es erklärt, was mir fehlt." Wieder wirkte Finnley geistesabwesend. Er ließ den leeren Blick umherschweifen, drehte sich einmal und lockerte dann endlich den Griff um Alfreds Handgelenk.
"Ich ... hätte nicht erwartet, dass die Toten wieder auferstehen, wenn sie auf der Suche nach ... einem Wort sind", meinte Alfred und warf einen Blick zum Boden. Dort lag seine Taschenlampe und er hob sie auf. In diesem Moment antwortete Zacharias: "Ich glaube nicht, dass außer mir noch weitere Zombies unterwegs sind. Ich habe jedenfalls keine gesehen. Suche nur nach dem Wort. Vielleicht kannst du mir helfen?"
Alfred steckte seinen kleinen Gummiknüppel zurück in den Gürtel. Von Zacharias Finnley schien keine Gefahr auszugehen, auch wenn er ein Zombie war. Er wirkte nur ein wenig verwirrt, aufgrund seines Zustands. "Ich helfe dir gern, wenn ich kann."
"Hmm", machte der Zombie und ließ sich von Alfred in dessen Wachraum führen. Dort angekommen setzte sich Zacharias auf einen der Stühle und starrte wartend ins Nichts, während Alfred Unterhof sich erst einmal eine Tasse starken Kaffee gönnte. Nachdem er mit einem genüsslichen Seufzen ausgetrunken hatte, fragte er: "Nun, wie kann ich dir bei deiner Suche helfen, Herr Finnley? Dass du ein Wort suchst, ist nicht gerade ein hilfreicher Anhaltspunkt. Kannst du das Wort mit anderen beschreiben? Vielleicht kommen wir dann gemeinsam drauf."
Finnley saß kerzengerade auf dem hölzernen Stuhl. Sein Blick war auf das Fenster vor ihm gerichtet. Er starrte eine Weile, ohne zu antworten. Alfred befürchtete bereits, der Zombie sei auf seinem Stuhl wieder zu einem toten Körper geworden und würde wohlmöglich bis auf ewig dort sitzen bleiben. Doch dann regte sich Finnley und sagte: "Ich kann es schlecht beschreiben, weil ich mich irgendwie nicht daran erinnern kann. Ich weiß, dass es da war und dass es jetzt weg ist, aber ich weiß nicht mehr, was es war."
"Könnte es denn ein Gegenstand gewesen sein? Etwas, das dir sehr wichtig war und das du nicht mit ins Grab genommen hast?"
Zacharias schüttelte betont langsam den Kopf. "Nein, es war in mir drin. Es war ..."
"Ein Organ?", fragte Alfred, der sich jetzt schon nicht mehr zu helfen wusste.
"Nichts Materielles. Man spricht nur darüber. Es ist eben da, in verschiedenen Varianten. Für jeden Moment im Leben scheint es sich zu verändern. Es war wohl nicht so ausgeprägt wie eine Seele, aber beinahe so stark."
Alfred hatte keine Ahnung, was der Zombie meinen könnte. Es gab einfach zu wenige Informationen, um seine Frage zu beantworten. "Was fühlst du denn, wenn du darüber nachdenkst?"
Finnley stand auf. Er schritt geradewegs auf den kleinen Alfred Unterhof zu, schaute zu ihm hinab, legte fragend den Kopf schief und wiederholte: "Was ich fühle? Fühlen. Hmm. Ich glaube, das ist es. Ja. Gefühl. Das Wort lautet Gefühl. Ich habe kein Gefühl mehr in mir."
Alfred sah zu dem Zombie auf. In seinen leeren Augenhöhlen flackerte das rote Licht, weil er herausgefunden hatte, was ihm fehlte. Wie brachte man ihm allerdings seine Gefühle wieder? Hatte er sie tatsächlich verloren?
"Du spürst nichts? Keine Freude, keinen Schmerz, keine Trauer, dass du tot bist?"
"Untot und da ist nur Leere in mir." Finnley setzte sich wieder auf den Stuhl. Alfred kam zu ihm und zog seinen eigenen Stuhl hinter sich her. Er setzte sich dem Zombie gegenüber. Dieser schien nachzudenken. "Hmm. Ich kenne zwar jetzt das Wort, aber es hat für mich keine Bedeutung. Keine Beschreibung, es ist nur ein Wort. Gefühl. Ich kann damit nichts anfangen."
Eine ganze Weile herrschte Stille. Alfred sah seinen Besucher mitleidig an. Dieser arme Mann, dachte er. Wenn er nicht fühlen konnte, musste das Leben ziemlich trostlos für ihn sein - andererseits war er bereits irgendwie tot und dürfte gar nicht mehr über die Erde wandeln. Der Drang, herauszufinden, was Gefühle waren, musste so stark sein, dass es Finnley aus dem Grabe gerissen hatte. Jetzt saß er einem Nachtwächter einer Leichenhalle gegenüber und schien nicht zu wissen, was tun.
Plötzlich bemerkte Alfred, dass Zacharias Finnley ihn eindringlich ansah. "Was ist los? Brauchst du einen Rat?"
"Hmm. Ja", sagte der Zombie. "Erkläre mir Gefühle. Ich will alles wissen."
Alfred runzelte die Stirn und seine kleine Hand fuhr zu seinem Kinn, um es zu kratzen. Einem untoten Zombie, der wohl nichts mehr im Kopf hatte außer Erde und Maden zu erklären, was Gefühle sind. Das konnte schwierig werden. Aber Alfred Unterhof hatte nichts Wichtiges zu tun. Wer kam schon in die Situation einem echten Zombie etwas beibringen zu können? Alfred wollte es versuchen.
"Pass auf, Zacharias. Gefühle sind sehr verwirrend, meistens jedenfalls. Sie sind so verschieden wie du und ich und es gibt so viele von ihnen, wie Farben auf der Welt, ach, wahrscheinlich noch mehr! Sie sind immer mit großer Leidenschaft verbunden, egal, ob es sich um gute oder schlechte Gefühle handelt. Manche von ihnen lassen dein Herz einen Hüpfer machen, wenn du zum Beispiel ein Lob für deine gute Arbeit bekommst oder ein Geldstück auf der Straße findest. Einige Gefühle wie Freude oder einfach nur Glück kannst du empfinden, wenn du heimkehrst und eine warme Mahlzeit auf dem Tisch steht. Oder wenn deine Lieblingsfußballmannschaft ein Tor geschossen hat. All diese fröhlichen, Glück bringenden Gefühle steigen in dir auf, wenn Dinge geschehen, die du gut findest."
"Gut? Auch ein Gefühl?"
"Ja", meinte Alfred und nickte heftig mit dem Kopf. "Du kannst dich auch einfach nur gut fühlen. Viele Leute sind gut drauf, wenn die Sonne scheint oder wenn sie mit anderen zusammen sein können. Vielleicht erleben sie dann sogar eines der stärksten Gefühle: die Liebe."
"Hmm. Dieses Wort musste ich wohl auch vergessen haben. Liebe. Ich erinnere mich. Es kommt mir bekannt vor."
"Warst du schon einmal verliebt, Zacharias?", fragte Alfred.
"Hmm. Ich weiß nicht. Beschreibe mir das ... Gefühl von Liebe und ich sage dir, ob es einst in mir war."
Nun schien Alfred richtig aufzublühen. Er musste an Helen denken, die süße, liebreizende und freundliche Helen. Es war ganz einfach, über Liebe zu sprechen, wenn man jemanden im Kopf hatte, dem man all seine Liebe schenken wollte.
"Liebe ist beinahe unbeschreiblich. Du wirst sie nicht verstehen, wenn du sie nicht selbst erlebt hast. Aber ich versuche, es dir begreiflich zu machen. Wenn du jemanden liebst, dann erscheint dir jeder Tag wie ein Tag der Freude, wenn du deine Liebe sehen kannst. Du glaubst, zu schweben und hast ein Kribbeln im Bauch wie viele Tausend Schmetterlinge, die du im Schlaf verschluckt hast. Die ganze Welt nimmt einen rosa Farbton an, du spazierst auf Wolken und dir ist angenehm warm."
"Rosa Wolken?", fragte Finnley, aber Alfred ließ ihn nicht wirklich zu Wort kommen. Begeistert fuhr er mit seiner Beschreibung von Liebe fort: "Überall blühen Blumen und es duftet süßlich. Aber noch lieblicher wird dir, wenn deine Angebetete zu dir geht und dich anspricht. Dann wird dir schlagartig heiß, du spürst, wie die Röte in deine Wangen schießt. Dir wird schwindelig, du beginnst, innerlich zu taumeln vor Glück. Alles, was du ihr sagen willst, zerfließt auf deiner Zunge und schmilzt, sobald du den Mund aufmachst. Du bringst meist nur sinnloses Gebrabbel hervor, das ist im späteren Moment ziemlich peinlich, wenn du es dir mal überlegst. Ach, und wenn sie mit dir gesprochen hat und du nach Hause in deine kleine Wohnung kehrst, bist du völlig berauscht von den letzten Minuten der Freude. Von dem Zeitpunkt an, da du merkst, dass du verliebt bist, ist es schwer, ein normales Leben zu führen. Du kannst nicht mehr schlafen, nicht mehr essen, du musst immer wieder an sie denken. Ach, Helen."
"Wer ist Helen?"
"Doch wenn sie deine Liebe nicht zu erwidern scheint, erfährst du von der anderen Seite der Medaille. Du findest heraus, dass es zu all den wundervollen Gefühlen auch Gegenstücke gibt. Trauer, Schmerz und Einsamkeit sind nur wenige aus der gigantischen Menge der schlechten Gefühle. Wenn du weißt, dass deine Angebetete dich nicht beachtet, dass sie zwar gern mit dir spricht, aber es sonst auch dabei belassen möchte, bricht für dich eine Welt zusammen. Überall Scherben, sage ich dir, alles scheint irgendwie zerstört. Die hellen Farben weichen tristen Grau- und Schwarztönen. Deine fröhliche Welt wird langsam wieder Realität. Du siehst in jedem Menschen etwas Besseres als in dir. Du verlierst die Lust, etwas zu tun, bist deprimiert und auch sonst mehr als niedergeschlagen. Du kannst immer noch nicht essen und schlafen, aber dieses Mal, weil ein mulmiges Gefühl deinen Magen zusammenkrampft und dich mit in eine pechschwarze Tiefe zieht. Alles auf der Welt ist von diesem Augenblick an dunkel. Genau so wie das Leben eines Nachtwächters."
Alfred verstummte und auch Zacharias sagte kein Wort. Er dachte nach. Alfred hatte ihm viel gesagt, leider wusste er mit fast gar nichts etwas anzufangen. Nur eines ahnte er: Alfred musste in diese Helen verliebt sein und sie nicht in ihn. Das konnte sie dem armen, kleinen Mann nicht antun, der doch so freundlich versucht hatte, ihm - Zacharias - die Welt der Gefühle wieder nahe zu bringen.
Der Zombie fasste einen Entschluss. "Gibt es diese Helen?", fragte er.
"Ja. Sie heißt Helen Binks und wohnt in der Kellerstraße, in der Nähe deines alten Krämerladens. Ein kleines Haus mit einem kirschrot gestrichenen Gartenzaun. Warum fragst du, Finnley?"
"Ich gehe jetzt", sagte der Zombie, "aber ich komme bald wieder. Ich muss jetzt einmal kurz weggehen und über deine Worte nachdenken. Vielleicht komme ich noch heute Nacht zurück. Auf Wiedersehen, Herr Alfred Unterhof." Zacharias Finnley setzte sich in Bewegung und schlurfte den Gang hinunter zum noch immer offen stehenden Eingangsportal. Er trottete auf die Straße. Dann dachte er wieder einmal lange nach. Von der Leichenhalle aus nach Westen in die Hinkelstraße, dann an der Kreuzung links und über die Ampel am kleinen Schuhladen vorbei, wenn es den immer noch gab. Ja, Zacharias erinnerte sich. Er folgte der Asphaltstraße und ging so, wie es ihm seine Erinnerungen vorhersagten. Nach einer Weile erreichte er den Ort seines Todes: seinen alten kleinen Krämerladen. Er spähte durch das Schaufenster. Es hatte sich wenig verändert, nur über der Tür hing jetzt nicht mehr das Schild mit der Aufschrift Finnley's kleines Warenhaus, sondern ein rustikal aussehendes Brett, auf dem Kalles Kramladen stand. Wie der neue Eigentümer, Kalle, wohl dreinschauen würde, nähme Finnley seine Pflichten als Krämer wieder auf? Aber nein, Finnley hatte eine Aufgabe zu erfüllen.
"Hmm. Die Kellerstraße", murmelte er matt vor sich hin und bog dann in die nächste Gasse ein. Wenig später stand der Zombie vor einem kleinen Haus, dessen kirschroter Zaun sogar in der Nacht hell leuchtete und schimmerte. Alle Lichter waren aus, Helen schlief vermutlich bereits. Das hinderte Zacharias Finnley jedoch nicht, umständlich das Gartentor zu öffnen und mit steifen Bewegungen die wenigen Treppenstufen zur Eingangstür empor zu wanken.
Finnley klopfte.
Nichts geschah.
Er klopfte noch einmal.
Im Haus regte sich nichts.
Finnley drückte auf die Klingel, gleich mehrere Male. Er wollte nicht darauf warten, dass sich nichts tat. In der Ferne bellte ein Hund, aber das war es auch schon. Finnley musste wohl oder übel bis zum Morgen warten und es dann erneut versuchen. Als er steifbeinig die steinernen Stufen hinunter stolperte, erhellte sich eines der Fenster hinter ihm. Finnley drehte sich langsam um. Seine rot leuchtenden Pupillen wanderten zur Eingangstür, die sich jetzt einen Spalt breit öffnete und den Blick auf eine Frau im Bademantel und mit einer Kerze in der Hand freigab.
"Wer ist da?", rief sie in die Dunkelheit.
Finnley kam auf sie zu. "Bist du Helen Binks?"
Helen nickte und hielt ihre Kerze in die nächtliche Schwärze. Ein unterdrückter Schrei stahl sich aus ihrer Kehle, als sie die bleiche Gestalt vor sich stehen sah. Im Schein der Kerze wirkte die beinahe farblose Haut noch unheimlicher und das Glühen in den Augenhöhlen noch bedrohlicher. Finnley streckte der erschreckten Frau eine verweste Hand entgegen.
"Ich bin Zacharias, ein Zombie."
"D-d-das sehe ich", stotterte Helen. Sie wollte schon wieder hinter ihrer Tür verschwinden, da bewegte sich Finnley so schnell wie er es wohl seit seinem Tod nicht mehr getan hatte. Er schwang seinen schlaffen Fuß nach vorn, dass er als Keil zwischen Tür und Rahmen hing und so ein Verschließen unmöglich machte.
"Ich muss mit dir reden, Helen", sagte Finnley monoton. "Hmm. Darf ich reinkommen?"
"Bitte tun Sie mir nichts. Ich rufe auch nicht die Polizei."
"Darf ich reinkommen?", wiederholte Finnley seine Frage.
Helen nickte nur und zog dann die Tür auf. Gemächlich schlurfte der Zombie ins Haus.
"Wir sollten uns setzen. Ich muss reden."
"Ja, ja, in Ordnung. Setzen wir uns in die Küche." Helen führte den unheimlichen Gast in ihre kleine Küche. Dort bot sie ihm einen der Barhocker an, die vor einer Theke in der Mitte des Zimmers standen.
"Kaffee oder Tee?", fragte Helen.
"Ich glaube, ich brauche nichts trinken", entgegnete Finnley.
Helen machte sich einen schwarzen Tee und lehnte sich dann an die Theke. Nachdem sie mit zitternden Fingern die Tasse bereits zum dritten Mal an den Mund gehoben hatte, fragte sie: "Wer sind Sie und was wollen Sie von mir? Ich kenne Sie nicht und weiß auch nicht, ob ich das will."
"Alfred hat von dir erzählt, Helen Binks. Und von ... Gefühlen."
Helen verschluckte sich beinahe an ihrem vierten Zug. "Alfred?! Meinst du Alfred Unterhof, den kleinwüchsigen Alfred? Ich kenne ihn, aber was hat er mit Ihnen zu tun? Sind Sie sein verstorbener Onkel oder so?"
"Ich bin nur ein Zombie, Helen. Ich habe Alfred zufällig gefunden und ihn nach der Leere in meinem Inneren gefragt. Er erzählte mir etwas von diesen Gefühlen und von Liebe und von dir, Helen."
"Von mir? Was hat er denn so über mich erzählt? Ich bin doch nur zweimal mit ihm ausgegangen? Er hat sich damals sehr nett um mich gekümmert, als mein ... Verlobter verstorben ist." Helen wurde trübselig. Finnley starrte sie mit geneigtem Kopf an. Er verstand nicht, warum sie die Schultern so hängen ließ. Sie war keine Untote. Finnley beschloss, auf Helens Frage einzugehen und begann mit seinem Bericht.
"Alfred Unterhof wollte mir erklären, was Gefühle sind. Ich will nicht mehr leer sein, ich will mein Inneres wieder mit diesen Gefühlen füllen. Allerdings habe ich bisher nur das Wort und sonst nichts. Seine Beschreibungen und Beispiele haben mir nicht sehr geholfen. Ich kann mir von Gefühlen kein Bild machen."
"Wie traurig", sinnierte Helen.
"Hmm. Traurig. Noch so ein Gefühl? Ein schlechtes, nehme ich an. Es klingt nicht besonders ... gut. Alfred erzählte hauptsächlich von den guten Gefühlen. Und von dir, Helen. Er fühlt etwas für dich, glaube ich. Naja, ich bin nur ein Zombie, ich weiß nicht, ob es stimmt. Er erzählte von einem Schwarm Schmetterlinge im Bauch und von lauen Sommernächten und süßlichen Düften. Dann fiel dein Name. Er erwähnte rosa Wolken und Hitze, die in ihm aufsteigt, wenn er mit dir spricht. Weißt du, was das zu bedeuten hat?"
Helen war ganz still geworden. Sie war zweimal mit Alfred Unterhof ausgegangen. Ja, sie fand ihn nett, aber dass sich der kleine Mann gleich in sie verlieben würde. So, wie es dieser Zombie beschrieb, waren die Symptome eindeutig. Dennoch regten sich Zweifel in ihr.
"Bist du sicher, dass Alfred mich liebt?", fragte sie. "Ich meine, du hast selbst gesagt, du seiest nur ein Zombie und könntest nichts mehr fühlen außer der Leere in dir. Weißt du überhaupt was Liebe ist? Hast du Alfreds Worte nicht womöglich falsch gedeutet?"
Finnley saß stumm auf seinem Barhocker. Kerzengerade und stumm. Er starrte ins Nichts. Dann fiel sein Blick auf Helen und auf die Teetasse, die sie auf der Theke abgestellt hatte. Finnley dachte nach. Alfreds Worte waren eindeutig gewesen. Er ... liebte diese Frau und er war irgendwie traurig, weil sie ihn nicht zu lieben schien. Aber was bedeutete traurig, was Liebe? Wie konnte Finnley Helen überzeugen, wenn er diese einfachen Begriffe doch selbst nicht richtig verstand? Irgendwo tief in Finnleys dürrem Körper wuchs etwas, füllte den ganzen Raum aus, der sich seit seinem Tod darin ausgebreitet und Leere verteilt hatte. Der Zombie sah Helen Binks an. Dann sagte er mit seiner kehligen, monotonen Stimme: "Ich erkläre dir jetzt, was Liebe ist, Helen Binks. Alfred liebt dich. Er fühlt es, weil er von rotgoldenen Sonnenuntergängen träumt, wenn er dich sieht. Er fühlt es, weil ihm ganz warm wird, sobald er in deiner Nähe ist. Er spürt es, wenn er mit dir spricht, weil dann in seinem Bauch nicht nur Schmetterlinge tanzen, sondern ein ganzer Urwald tobt. Er liebt dich wirklich. Er träumt von Kirschen, wenn er deinen Mund anschaut, und vom Leuchten des Himmels, wenn deine Augen sich mit seinen treffen. Auf deinen rosigen Wangen findet er den Morgentau und in deinen Haaren weiß er, dass sich dort die Wolken verstecken. Nicht einmal die Sonne kann ihm ein so wohliges Gefühl vermitteln, wenn sie hoch droben am Himmel ihre Runde zieht. Helen Binks, dieser Mann liebt dich, seit er dich sah. Er kann nicht essen ohne dich, nicht schlafen, nicht atmen, nicht glücklich sein. Er braucht dich mit jeder Minute seines Lebens, die vergeht. Und wenn du ihm nicht bald zeigst, dass auch du ihn liebst, dann lernt er neue Gefühle kennen. Gefühle, die ihn bisher nicht berührten und an denen er vergehen wird, wenn sie sich häufen. Ich spreche von schlechten Gefühlen. Das mulmige Krampfen des Magens, wenn er glaubt, etwas Falsches gesagt zu haben. Die ozeangroße Trauer, die ihn ausfüllt, wenn sich deine Lippen zu einem Bild der Traurigkeit formen. Die endlos einsame Zeit, die er ohne dich verbringt und dabei tausend Leben lebt und tausend Tode stirbt. Welche Gefühle wünschst du ihm, Helen? Ich wünsche mir, ich hätte wenigstens einen der beiden Teile, egal welchen, aber durch deine Entscheidung kannst du die zukünftigen Gefühle von Alfred Unterhof bestimmen. Liebe und Glück oder Trauer und Einsamkeit? Helen, ich glaube, ich weiß jetzt, was Gefühle sind. Ich weiß, was Schmerz und Trauer sind. Und ich weiß, was das Wort Liebe bedeutet. Aber weißt du es auch?"
Helen blieb eine Weile stumm. Ihre leise Stimme durchbrach die Stille, als sie endlich den Mund öffnete, um zu sprechen. "Das war eine wundervolle Rede, Herr Zombie. Dafür, dass du sagtest, in dir hätte sich die Leere eingenistet, weißt du aber noch sehr viel von Gefühlen. Aber eines haben weder du, noch Alfred geahnt. Auch Leere ist ein Gefühl. Hast du sie denn nicht gefühlt, diese Leere in dir? Ein schlechtes Gefühl, ja, aber sie war da. Ebenso wie bei mir, seit mein Verlobter diese Welt verlassen hat. Ich fühlte mich leer, wusste nicht wohin. Ich hatte keine Gefühle mehr in mir, Zacharias. Ich lebte nur noch so in den Tag hinein und vergaß die Menschen um mich herum. So bemerkte ich auch nicht, was einige von ihnen für mich empfanden. Egal, ob Liebe, Hass, Schmerz oder Glück, alles gehört zusammen, alles ist mit großer Leidenschaft verbunden und wenn man sie verliert, ist man nichts mehr."
"Das heißt, ohne Gefühle werden Menschen zu Zombies, egal ob sie tot sind oder nicht?"
"Nein", Helen schüttelte den Kopf, "Zombies fühlen doch. Das sehe ich an dir. Sie haben es nur verlernt nach all den Jahren unter der Erde. Wenn Menschen aufhören zu fühlen, werden sie zu ... ja, Maschinen. Sie haben eine Routine in sich und leben danach. Sie denken nicht mehr an ihre Mitmenschen, ihre Umgebung, und ihr Gewissen plagt sie nicht, wenn sie sich gegenseitig verletzen oder im Krieg vernichten. Nein, solche Menschen haben es nicht verdient, Zombies genannt zu werden. Sie haben nicht einmal mehr Leere in sich."
Helen griff nach ihrer Teetasse und brachte sie zur Spüle. Finnley ließ sich vom Barhocker gleiten. "Was willst du jetzt tun, Helen Binks? Jetzt, da du wieder fühlst und weißt, dass Alfred dich liebt?"
Helen drehte sich zu Finnley um. Sie lächelte mild und im Zombie regte sich eine wohlige Wärme. "Zunächst muss ich dir danken, Zacharias. Ich weiß nicht, warum du mich gerade zu einem solchen Zeitpunkt aufsuchst und warum gerade mich. Vielleicht ist es eine Eingebung Gottes oder des Schicksals, aber das ist mir gleich. Hauptsache ist, dass du da warst und nach der Bedeutung von Gefühlen gesucht hast. Ohne dich würde ich weiterhin in den Tag hineinleben, ohne zu merken, was ich verpasse. Ich bitte dich um einen letzten Gefallen, lieber Zacharias: Kannst du mich zu Alfred Unterhof bringen? Jetzt gleich? Ich würde ihn gern ... wiedersehen."
Finnley nickte und schlurfte los. Er tat Helen gern diesen Gefallen und sie meinte dazu wieder, dass dies ebenfalls ein Gefühl sei, etwas gern zu tun.
Finnley brachte Helen zur städtischen Leichenhalle. Alfred stand auf der Treppe mit seiner blinkenden Taschenlampe in der Hand. Er hatte die ganze Zeit darauf gewartet, dass der Zombie zurückkehrte. Wie überrascht war er, als Helen plötzlich auf ihn zugestürmt kam und ihn heftig umarmte. Alfred stieg die Röte ins Gesicht und er fragte verwirrt: "Was hat Ihnen dieser Untote alles erzählt?"
Helen lächelte und küsste Alfred auf die Stirn. "Er erklärte mir, was Liebe ist. Er ist der gefühlvollste Mensch ... äh Untote, den es gibt."
Alfred grinste: "Er hat dir hoffentlich auch berichtet, von wem er die Beschreibung von Gefühlen hat."
Die beiden küssten sich innig. Dieser Moment versprach, dass in es in der Stadt schon sehr bald zwei Menschen mehr gab, die Gefühle - und besonders die guten Gefühle - zu schätzen wussten.
Finnley beobachtete sie. Er legte den Kopf schief und stützte sich auf sein funktionsfähiges Bein. Gefühle. Eine seltsame Sache. Vielleicht war Leere doch gar nicht so schlecht. In dem ganzen Wirrwarr aus so vielen unterschiedlichen Emotionen konnte man sich ja geradezu verlaufen und nie wieder herausfinden! Trotzdem war es manchmal ganz schön, so richtig Gefühl zu zeigen, sei es durch einen abreagierenden Wutanfall, ein fröhliches Lachen oder eine Träne, geweint aus Trauer oder Freude, um die Tiefe des Charakters und des Lebens zu zeigen, das man in sich trug.
Finnley weinte. Er hatte heute mehr als einmal bewiesen, dass auch ein Zombie Gefühle haben konnte und dass es nicht darauf ankam, ob der Körper tot oder lebendig war. Was zählte, war das Innere und diese Nacht hatte ihm gezeigt, dass auch über der Erde Gefühllose Wandeln können, wenn sie sogar vergaßen, was Leere war.
Zacharias Finnley hatte seine Arbeit getan. Er war zufrieden. Er fühlte sich sich gut. Nein, er fühlte sich müde!
"Hmm. Ausruhen. Ich möchte jetzt lange schlafen."
Der Zombie schlurfte mit einem lahmen Bein und einer inneren Wärme zurück zum Friedhof.